Bürgergeld: Jobcenter rechnet Guthaben aus Angesparten aus Regelsatz an – Darf die Behörde das?

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Ein Jobcenter wollte Guthaben aus Angesparten aus den Bürgergeld-Regelleistungen anrechnen? Durfte das die Behörde?

Mit einem wegweisenden Urteil gab das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (Az. L 13 AS 164/14) bekannt, dass, wenn ALG-II-Empfänger für Heizkosten selbst aufkommen, die Rückzahlung den Anspruch nicht mindert. Das Verfahren wurde ohne Entscheidung erledigt, da das Jobcenter die Revision zurückgenommen hat.

Aus dem Urteil: Guthaben aus Beträgen, die ein Leistungsempfänger im Abrechnungszeitraum aus seinem Regelsatz bzw. seinem anrechnungsfrei gestellten Einkommen getragen hat, können nicht nach § 22 Abs. 3 SGB II vom Jobcenter angerechnet werden

Ansparen aus der Regelleistung

Betriebskostenguthaben, die (auch) aus dem Regelsatz aufgebaut worden sind, sind bei der Erstattung nach § 22 Abs. 3 SGB II a.F nicht anzurechnen. Dem steht neben dem Sinn und Zweck der Regelung auch der Wortlaut des § 22 Abs. 3 SGB II in der ab 1. April 2011 geltenden Fassung entgegen (Abgrenzung zu BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 14 AS 83/12 R – ; BSG, Urteil vom 22. März 2012 – B 4 AS 139/11 R ).

Es liegt auch kein Einkommen vor

Denn dies folgt zum einen aus der Wertung des § 11 a Abs. 1 Nr. 1 SGB II, nach der Leistungen nach diesem Buch nicht als Einkommen anzurechnen sind; zum anderen ist es aber auch geboten, Einnahmen, die aus Einsparungen beim Regelbedarf resultierten, über den jeweiligen Bezugszeitraum hinweg von der Berücksichtigung als Einkommen freizustellen (so BSG, Urteil vom 23. August 2011 – B 14 AS 185/10 R – ).

Weiterhin führt das Gericht aus – Zitat

“Nach Auffassung des Landessozialgerichts beruht das ausgekehrte Guthaben auf dem Teil der Vorauszahlung, der von der Klägerin über ein Darlehen finanziert worden ist. Da von der Rückzahlung nicht der vom Beklagten getragene Anteil i.H.v. 68,40 Euro betroffen sei – dieser war vollständig verbraucht worden –, dürfe im vorliegenden Fall eine Minderung der Leistungen für Unterkunft und Heizung nicht durchgeführt werden.

Der Gesetzeswortlaut unterscheide zwar nicht, ob das Guthaben beim Energieversorger durch Zahlungen des Leistungsträgers nach dem SGB II oder aber durch eigene Leistung des Hartz-IV-Empfängers zustande gekommen sei.

Eine solche Unterscheidung nach dem Herkommen der Überzahlung sei jedoch erforderlich. Dabei sei daran anzuknüpfen, dass das Gesetz vom Wortlaut her am Bedarf für Unterkunft und Heizung ansetze, dem die Rückzahlungen der Energieversorger zuzuordnen sein sollen.

Der Bedarf umfasse jedoch nur die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, vorliegend die vom Landkreis gewährten 68,40 Euro.

Bei einer solchen bedarfsbezogenen Betrachtung müsse daher der Anteil des Heizkostenguthabens außer Betracht bleiben, der von der Klägerin selbst über das Darlehen finanziert worden sei. Dieses Ergebnis stimme mit dem Gesetzeszweck überein, wonach den kommunalen Trägern Guthaben zugutekommen sollten, die wesentlich mit ihren Beiträgen aufgebracht worden seien. Letzteres könne im Fall der Klägerin gerade nicht festgestellt werden.”

Fazit

Eine Heizkostenrückerstattung des Energieversorgers ist jedenfalls dann nicht nach § 22 Abs. 3 SGB II auf den Bedarf für Unterkunft und Heizung anzurechnen, wenn das Jobcenter die Heizkosten nur in angemessener Höhe übernommen hat und der Rückerstattungsbetrag vom Hilfebedürftigen allein aus dem Regelbedarf erbracht worden ist.

Dem steht neben dem Sinn und Zweck der Regelung auch der Wortlaut des § 22 Abs. 3 SGB II in der ab 1. April 2011 geltenden Fassung entgegen.

Praxistipp zu gleich lautenden Entscheidungen

SG Berlin, Urteil vom 19.10.2015- S 27 AS 2022/14; SG Chemnitz im Urteil vom 31.01.2013, Az.: S 40 AS 5401/11; SG Kiel, Beschluss vom 02.12.2010, – S 38 AS 588/10 ER; SG Kiel, Urteil vom 07.02.2012, Az S 38 AS 218/10; SG Chemnitz, Urteil vom 31.01.2013 – S 40 AS 5401/11( Heizkostenguthaben); SG Chemnitz, Urteil vom 11.04.2013 – S 14 AS 4157/13; SG Potsdam, Urteil vom 14.06.2013 – S 42 AS 1322/10; SG Aurich, Beschluss vom 12.09.2011 – S 55 AS 247/11 ER ( Heizkostenguthaben ); SG Aurich, Beschluss v. 28.09.2012 – S 35 AS 255/12 ER; offen gelassen LSG Berlin, Beschluss v. 25.10.2013 – L 25 AS 1711/13 B PKH

Anmerkung vom Sozialrechtsexperten von Tacheles e. V. zum Bürgergeld

Mit Wirkung zum 01.08.2016 hat der Gesetzgeber die Anrechnung von Betriebs- und Heizkostenguthaben dahingehend geändert, dass auch Rückzahlungen, die sich auf nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, außer Betracht bleiben ( § 22 Abs. 3 HS. 2 SGB II ).

Nach bisheriger Rechtslage minderten Guthaben auch die anerkannten Bedarfe für Unterkunft und Heizung( also die geminderten Kosten der Unterkunft).

Nach der Gesetzesbegründung sollen daher diejenigen, die einen Teil ihrer nicht anerkannten Miete aus der Regelleistung, bzw. Einkommen oder Vermögen bezahlt haben, im Falle eines besonders sparsamen Verbrauchsverhaltens belohnt werden mit der Folge, dass eine Gutschrift in Höhe der zuvor erbrachten Eigenmittel anrechnungfrei bleibt.

Was heißt das jetzt für Leistungsbezieher

Betriebskosten bzw. Heizkostenguthaben, die (auch) aus dem Regelsatz aufgebaut worden sind, mindern nur – tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung – auch nach der Änderung des § 22 Abs. 3 SGB II ab dem 1. August 2016 !

Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, bleiben außer Betracht ist die Kernaussage des § 22 Abs. 3 SGB II.

Somit gilt folgendes

Betriebskostenguthaben bei nicht vollständig anerkannter Miete mindern nicht die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung bei Leistungsempfängern von Bürgergeld.

Übernimmt das Jobcenter nicht die tatsächlichen Mietkosten, muss also der Leistungsempfänger einen Teil der Miete aus seinem Regelsatz beziehungsweise aus seinem Einkommen leisten, gehört das Guthaben immer dem Leistungsbezieher ( § 22 Abs. 3 HS. 2 SGB II ).

Dieser Grundsatz gilt immer

Bei nicht tatsächlicher Mietkostenübernahme durch die Behörde und bei sparsamen Verhalten gehören Betriebskostenguthaben immer dem Leistungsempfänger nach dem SGB II.

Das sollte jeder Leistungsempfänger wissen

Wann gilt ein Guthaben als zugeflossen – Bürgergeld – Nebenkostenguthaben – Berücksichtigungszeitpunkt

Nebenkostenguthaben sind erst mit der Gutschrift auf dem Girokonto vom Jobcenter zu berücksichtigen.

Die Frage, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen jeweils erfüllt sind, ist eine rein tatsächliche Frage, die sich an den Umständen des Einzelfalls orientiert (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Januar 2020 – L 31 AS 1871/19 -).